Billy Elliot: Londoner Original tanzt in Hamburg

Von der Kinoleinwand ins Theater: 2000 kam Billy Elliot in die Kinos. Fünf Jahre später auf die Musicalbühne. Die Geschichte vom Arbeiterjungen, der während des Bergarbeiter-Streiks in England seine Leidenschaft fürs Tanzen entdeckt, ist als Musicalfassung ein Riesenerfolg. Jetzt ist das mit zehn Tony-Awards ausgezeichnete Musical in der Londoner Originalproduktion zum ersten Mal in Deutschland zu sehen: Noch bis Ende Juli tanzt, rockt und fliegt Billy Elliot durch das Mehr Theater am Großmarkt in Hamburg.

Mittendrin: Standing Ovations

Das Publikum jubelt. Es gibt Standing Ovations. Aber nicht etwa am Ende der rund 3-stündigen Show sondern mittendrin. Bereits nach dem herausragendem Solo des jungen Hauptdarstellers zu „Electricity“, bei dem Billy um die Aufnahme an der Royal Ballet School und damit auch um seine Zukunft tanzt, feiert das Publikum eine eindrucksvolle, mitreißende und anspruchsvolle Inszenierung, die gleichzeitig ans Herz geht, zum Lachen verführt und zu Tränen rührt.

Billy Elliot: Die Story

Die Story führt zurück in die Jahre 1984/85: Der zwölfjährige Billy wächst in einer Arbeiterfamilie im Norden Englands auf. Vater und Bruder sind Bergleute, seine Mutter ist vor drei Jahren gestorben, die einzige Frau im Haus ist seine Oma – willensstark, aber dement. Die Sprache ist rau, das Leben ist es auch: Im längsten Streik in der Geschichte Englands protestieren die Bergleute gegen die Schließung der Minen und gegen die Regierung mit der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher an der Spitze. Während die Arbeiter um ihre Existenz kämpfen, kämpft Billy darum, er selbst sein zu können. Nicht der Boxer, den Vater und Bruder in ihm sehen, sondern der Tänzer. Denn: Wenn Billy tanzt, findet er zu sich selbst und einen Weg heraus aus der Welt um sich herum, die Stück für Stück zerbricht.

Eindrucksvoll und einfühlsam

Das Musical Billy Elliot bringt diese Geschichte in einer Inszenierung von Stephen Daldry auf die Bühne, der auch beim Film bereits Regie führte. Lee Hall schrieb das Buch, Elton John die Musik. Das Ergebnis ist ein eindrucksvolles und einfühlsames Musical, dem es gelingt, eine komplexe Story voller Aussagekraft mit Gefühl, bemerkenswerten Choreographien (Jeroen Luiten) und ausdrucksstarken Melodien zu verbinden und die Geschehnisse zwischen Klassenkampf und Kultur miteinander zu verweben.

Klassenkampf und Glitzerrevue

Besonders eindrucksvoll wird das bei der Szene vor der Pause umgesetzt: Als der Vater Billy das Tanzen verbietet und sich die Wut des Jungen in einem verzweifelten (Stepp-)Tanz Bahn bricht, bekommt auch die Wut und Verzweiflung der Bergarbeiter und die Auseinandersetzung mit der Polizei ihren Raum. Beide Kämpfe greifen ineinander, bedrohen und bedrängen, begleitet von dröhnend-rockiger Musik, die – im Mehr Theater doch ein wenig zu laut – bis ins Mark geht. Dabei gelingt es der Inszenierung immer wieder ausgleichende, leichte und auch bunte Szenen zu schaffen. Dann etwa, wenn Ballettlehrerin Mrs. Wilkinson ( Anna-Jane Casey) ihre Schülerinnen – und auch Billy – in „Shine“ mit Federboa und pinken Tutus dazu auffordert, zu strahlen. Oder aber wenn Billys Freund Michael, der sich nur in Mädchenkleidern richtig wohl fühlt, die Kleiderprobe vor Muttis Kleiderschrank in eine Glitzer-Revue verwandelt.

Überragende Darsteller

Billy Elliot begeistert Szene für Szene. Möglich macht das ein leidenschaftlich aufspielendes Ensemble mit herausragenden Darstellern, bei denen vor allem die Kinderdarsteller überzeugen. Adam Abbou als Billy Elliot spielt, singt und tanzt mitreißend, fesselt und begeistert die Zuschauer und Henry Farmer gibt seinen Freund Michael mit dem richtigen Timing für Komik und Gefühl. Anna-Jane Casey besticht als schnoddrige und gutherzige Ballettlehrerin Mrs. Wilkinson mit Stimmpower und besonderer Bühnenpräsenz. Martin Walsh als Billys Vater gibt seine Zerrissenheit zwischen Klassenkampf und Sorge, zwischen festen Rollenmustern und Vaterstolz authentisch wieder. Wenn der harte Bergarbeiter mit brüchiger Stimme einen Folksong in Erinnerung an seine verstorbene Frau singt oder entgegen aller Erwartungen über seinen Schatten springt und Billy zur Aufnahmeprüfung in eine auch für ihn fremde Welt begleitet – dann geht das einem nah. So wie das ganze Musical.

Billy Elliot ist noch bis zum 23. Juli 2017 im Mehr! Theater in Hamburg zu sehen. Weitere Infos dazu gibt es hier.

Fotos: © Alastair Muir